Allgemeine Sicherungsmaßnahmen im Hinterland - die 2. Verteidigungslinie
Angesichts des drohenden Eintritts Italiens in den Ersten Weltkrieg ließ Österreich-Ungarn nicht nur in Grenznähe Verteidigungsbauten errichten bzw. verstärken, sondern auch an mehreren strategisch bedeutsamen Stellen im Hinterland, hier v.a. in Form von Feld-Befestigungsanlagen (Schützengräben, Hindernisbauten …).
Einen Teil dieser „2. Verteidigungslinie“ stellte die „Sperre Klausen„ dar: Sie sollte ein allfälliges Vordringen italienischer Truppen in das Eisacktal aus dem Bozner- oder Dolomitenraum verlangsamen oder gar aufhalten. Bei einem Durchbruch ins Eisacktal wären dem Gegner nämlich nicht nur die strategisch wichtigen Knotenpunkte Brixen und Franzensfeste in die Hände gefallen, sondern auch die Bahnlinien über den Brenner und ins Pustertal. Diese Bahnlinien stellten eine lebenswichtige Verbindung nach Norden und Osten dar und waren im Hinblick auf den Nachschub für die gesamte Tiroler Front von größter Bedeutung.
Bericht an die k.u.k. Befestigungsbaudirektion Innsbruck vom 27. September 1914 zum Stand der Befestigungsarbeiten:
Allerdings war dem Militärkommando Innsbruck klar, dass das erreichte Stadium nicht als Abschluss der Befestigungsarbeiten betrachtet werden konnte. Somit erging an die Geniedirektionen die Anweisung zu „weiterer Ausgestaltung der Intervalle, Verbreiterung der Hindernisse und Kavernenbauten“. Dabei sollte die beste Verteidigungsfähigkeit, welche ohne wesentliche Beschädigung von Kulturen und Gebäuden möglich war, erzielt werden.
Möglichst wenig Aufsehen erregen…
Die zum Teil umfangreichen Bau- und Befestigungsmaßnahmen blieben nicht unbeobachtet.
Deshalb versuchte die Heeresleitung die Bevölkerung zu beruhigen, wie folgender Aufruf in der Brixener Chronik zeigt:
Bevölkerung Tirols, ruhig Blut bewahren!
An mehreren Stellen im Innern Tirols sind zurzeit Befestigungsarbeiten im Zuge. Diese Arbeiten, von jeher im Mobilisierungsplane vorgesehen, mußten nun auch mit der Anordnung der Mobilisierung in Angriff genommen und ausgeführt werden, obschon ein eigentlicher Anlaß für eine feindliche Bedrohung nicht vorliegt oder zu erwarten steht. (….) Die auch von unserer Heeresverwaltung von jeher geplante und nun auch in Ausführung begriffene Vornahme fraglicher Bauten kann daher keinen Grund zu irgendeiner Beunruhigung geben, sie muß vielmehr die Bevölkerung davon überzeugen, daß die Kriegsvorbereitungen derart getroffen sind, daß die Bevölkerung auch in dieser bewegten, ernsten Zeit unbehindert durch äußere Einflüsse ihrem bürgerlichen Berufe nachzugehen in der Lage ist.
Darum ruhig Blut bewahren und Vertrauen setzen in die Maßnahmen der Heeresleitung!Brixen, 29. August 1914
Von der k.k. Bezirkshauptmannschaft
Die „SPERRE KLAUSEN“
Zur Sicherung der Garnisonsstadt Brixen und der Bahnlinien Richtung Norden und Osten war schon Mitte des 19. Jahrhunderts eine „Sperre Klausen“ geplant und die Maßnahmen zu deren Realisierung detailliert beschrieben worden. Siehe dazu die Verteidigungspläne 1833-1914.
Im September 1914, also kurz nach Kriegsbeginn, waren die Befestigungsarbeiten für die „Sperre Klausen-Villnöß“ bereits zum größten Teil fertiggestellt: Nördlich von Klausen, bei der „Klamm“ in der Talsohle, wo sich auch eine Haltestelle der Südbahn befand, stieg die befestigte Linie am rechten Hang des Eisacktales über Feldthurns bis hinauf nach Garn, während sie an der linken Talseite von der Klamm über Gufidaun bis zum Zickerhof verlief. Von der später realisierten Variante Nafen – Teis gibt es auf diesem Plan noch keine Spur:
Feldmäßige Sperranlage Klausen – Villnöß, September 1914, 1:25.000
Legende linker Flügel (Gufidaun):
VI und VII: zwei Gruppen kleine Stützpunkte teils offen, teils eingedeckte Infanteriedeckung für 1½ Zug.
VIII bis XIV: kleine Stützpunkte zur Hälfte eingedeckt für je ¼ Zug.
XV und XVI: durch eigene Besatzung nach Bedarf erst herzustellende Infanteriedeckungen für 1 bis 2 Züge.Artillerie mobile Verwendung da Aufstellungsplatz im Terrain vorhanden.
xxxxxxxxxx = feldmäßige Drahthindernisse.
A) Eventuell herzustellende Flosse, wofür Holz zur Zusammensetzung eines starken Floßes dortselbst am linken Ufer, das Drahtseil am Straßengeländer nächst Klausen vorhanden sind.
Was die Unterkünfte bzw. die Winterversorgung bei den feldmäßigen Anlagen anbelangt, war die k.u.k. Geniedirektion in Brixen in Bezug auf die Sperre Klausen-Villnöss unbesorgt: Die zahlreichen Wohnhäuser und beheizbaren Hütten in günstiger Lage zur Kampfstellung ließen besondere Vorsorgen überflüssig erscheinen.
Zweifel an der Linienführung
Doch dann scheinen Zweifel an der Verteidigungsfähigkeit auf der gewählten Linienführung am linken Flügel aufgekommen zu sein. Deshalb beantragt das Gruppenkommando Bozen eine Geländeerkundung (Rekognoszierung) auf der Linie Nafen – Teis, da die bisher angelegte Linie über Gufidaun – Zicker als nicht ausreichende Sicherung betrachtet wird. Die Stellung wird als „vom Tschanberg aus sehr gefährdet“ eingestuft, das Villnößtal „wird nicht gesperrt“. Es wird angemerkt: „Die Angelegenheit ist dringend, da die Ausführung ehestens erfolgen soll.“ Die dafür notwendigen Erkundungsarbeiten im Gelände sollen von Seiten der Geniedirektion Brixen ausgeführt werden. Es ist davon auszugehen, dass man sich hierbei auf Verteidigungspläne stützte, die bereits in den 1870er-Jahren detailreich ausgearbeitet worden waren. Siehe dazu die Verteidigungspläne 1833 – 1914.
Oberstleutnant Lempruch macht mit Oberleutnant Franz Buchecker die angeordnete Rekognoszierung im Teiser Gebiet. Ihre Aufgabe ist es festzustellen, ob eine Verlegung des linken Flügels der Sperre in die Linie Teis – Nafen durchgeführt werden könnte. Das Ergebnis der Geländeerkundung hält er schriftlich fest:
Brixen, am 22. Oktober 1914
Die neue Linie ist in der Front fortifikatorisch überaus stark, indem das, derselben vorliegende Villnösser Tal bis in die Gegend vom Wirtshaus Stern (Anm.: in Außermühl) schluchtartig eingeschnitten ist und bis zu 70 m hohe, steile, sturmfreie Felsabstürze zeigt (..…) Die Ortschaften Theis und Nafen bestehen aus größtenteils gemauerten, festen Häusern; sie bieten genügende Ressourcen und Unterkünfte. Trinkwasser ist überall vorhanden. ( …..) Es unterliegt keinem Zweifel, dass der neu beantragte Flügel für den Angreifer erheblich schwierigere Verhältnisse zeigt, als der bestehende (…) und dass auch die Rückzugsverhältnisse aus der neuen Stellung unvergleichlich günstigere sind… mehr.
Am 11. November wird der Bericht Generalmajor Friedl in Innsbruck zur Begutachtung vorgelegt.
Dieser bringt seine Zustimmung zu den einzelnen Vorschlägen mit Rotstift zur Kenntnis:
Stellungsbau auf der Linie Nafen-Teis
Am 20. November 1914 werden die endgültigen Richtlinien für die Sperre Klausen-Villnöss zur Errichtung der neuen Anlage Nafen-Teis erteilt. Nun steht dem Stellungsbau auf der Linie Nafen-Teis nichts mehr im Wege.
Arbeitsbericht vom 28. November 1914:
Die Arbeiten schreiten nun zügig voran:
Arbeitsbericht vom 4. Dezember 1914
Arbeitsrapport vom 29. Jänner 1915 - Ausrüstungsbericht der Geniedirektion Brixen über die Arbeiten in der 2. Linie, Teis-Villnöß:
Sperre 2. Linie
Oberleitung: Hptm. Brandmayer
Leitendes Personal: ein Sappeuroffizier und ein Landsturmpflichtiger Ingenieur
Arbeiterstand: 130 Sappeure und Infanteristen, 120 freiwillige Arbeiter
Fuhren: 10 Stück
Stand der Arbeiten: am linken Flügel 5 Stützpunkte in der Linie Haubenberg –Theis –
Gufidaun mit teilweise betonierten und teilweise hölzernen Kopfungen in
Arbeit. Voraussichtliche Beendigung Mitte Februar. Der Zuschub von
Hindernismaterial ist zum größten Teil beendet (Angabe für alle Anlagen)
Ergänzungsarbeiten: In den geschlossenen Stützpunkten Kavernen oder Unterstände
Hinter der Linie: Wegherstellung Haubenberg fertig
Im Vorfeld: Hindernisherstellung
Arbeitsrapport vom 9. Februar 1915
Sperre 2. Linie
Oberleitung: Hptm. Brandmayer
Leitendes Personal: ein Fortifikationsoffizier, ein Landsturmpflichtiger Ingenieur
Arbeiterstand: 130 Sappeure und Infanteristen, 200 freiwillige Arbeiter
Fuhren: 10 Stück
Kampfanlagen : Am linken Eisackufer 5 Stützpunkte verteidigungsfähig und zwar: 1) Haubenberg
Kote ¤ 1250 m; 2) Kote ¤ 1093; 3) Kote Δ 1027; 4) Ꙉsüdlich Teis; 5) Hang südlich † 814
m, Kopfschutz in Arbeit. 6) Arbeiten beim Stützpunkt Hang südsüdwestlich † 814 m
begonnen. Hindernisherstellung 6 m breit.
Ergänzungsarbeiten Unterkünfte beim Stützpunkt: ad 1 fertig, ad 2 begonnen, ad 3 in Arbeit. Kaverne
beim Stützpunkt: ad 3) 6m tief, ad 4) 5 m tief
Im Vorfeld: Lichtung
Arbeitsrapport Hauptmann Brandmayer vom 9. April 1915
zum Stand der Arbeiten am linken Flügel der Stellung Klausen-Villnöß
Fester Platz Verteidigungs-fähig Ausführungs-stadium voraussichtlicher Beendigungstermin Sturmfreiheit Vorfeld-Lichtungen Zeitbedarf für die
ErgänzungsarbeitenStützpunkt Haubenberg Verteidigungs-
fähighalb fertig Ende April 6 m Hindernisse fertig jetzt nicht beabsichtigt 8 Tage für Vorfeld-lichtungen Stützpunkt Rückfalls-kuppe Verteidigungs-
fähighalb fertig Ende April 6 m breite Hindernisse fertig fertig 4 Tage Stützpunkt nördlich Teis Verteidigungs-
fähigfertig Ende April 6 m breite Hindernisse fertig fertig 4 Tage Stützpunkt bei Raggele südlich Teis Verteidigungs-
fähigfertig Ende April von Natur aus keine nötig 4 Tage Stützpunkt südwestlich Teis Verteidigungs-
fähighalb fertig Ende April von Natur aus nicht nötig 8 Tage Stützpunkt südlich Nafen Verteidigungs-
fähighalb fertig Ende April von Natur aus nicht nötig 8 Tage
Materiallieferungen
Für den Bau der Schützengräben musste auch Material von außen angeliefert werden. Dass ein Teil davon mit der Eisenbahn transportiert wurde, lässt folgende Rechnung vermuten, die die Wirtin des Gasthofs „Krone“ in Klausen der Militärbauleitung Teis am 29.5.1915 ausstellte:
65 Stangen a 7 1/2 kg = 2737 1/2 kg zu 1.45 = 39 Kronen 70 Heller
400 kg Stäbe = 5 Kronen 80 Heller
Den ganzen Wagen abladen und zu uns herführen
2 Pferd 1/2 Tag = 10 Kronen
4 Mann a 4. = 16 Kronen
——————————
71 Kronen 50
übriges Hindernismaterial mit zig. Fuhren angeliefert
Hochachtungsvollst Anna Reiserer Klausen
Anm.: Die Stangen und Stäbe dienten als Stacheldraht-Halterungen und zur Verstärkung der Betondecken.
Der Gasthof „Krone“ steht in nächster Nähe zum Klausner Bahnhof. Seine günstige Lage veranlasste die Wirtsleute damals wohl, Dienstleistungen im Zusammenhang mit Materialtransporten per Eisenbahn anzubieten.
Der Kriegseintritt Italiens steht bevor…
Vorpostenübungen. Gufidaun – Theis.
Abmarsch 6:30 früh durch das Villnössertal. Hier wird überall fest gearbeitet und betoniert, um Schützengräben und Geschützstände fertig zu bringen. Der Krieg mit Italien wird unausbleiblich sein. Meine Feldwache war bei einer Säge unter Theis. Vormittag finges zu regnen an, und kamen wir um 11:30 ganz nass zurück nach Frag (Anm.: Ortsteil von Klausen). Nachmittag fade Appellübungen …
Nur 13 Tage später, am 23. Mai 1915, trat Italien dann tatsächlich auf der Seite der Entente in den Krieg ein. Bald nach dem Beginn der Kampfhandlungen mit Italien musste man jedoch erkennen, dass die Arbeitskraft und das Material an exponierteren Stellen dringender gebraucht wurden als an den im Hinterland liegenden Sperrstellen der 2. Verteidigungslinie. Die Arbeiter dort wurden abberufen, da sie an den Verteidigungsanlagen der 1.Linie (Landro, Pralongiá…) gebraucht wurden, und die Arbeiten eingestellt.
Am 25. Juni 1915 berichtet Hauptmann Brandmayer in seinem Bericht zu den Arbeiten in den Sperren der 2. Linie über Teis-Villnöß:
Ich musste nach Stern mit der Bestimmung zur Bildung von Trägerkolonnen. 5 Arbeiterabteilungen mit zusammen 1020 Mann. Die Sperre Teis, linker Flügel verteidigungsfähig.
Dieses ist der letzte aufgefundene Arbeitsbericht, datiert mit 27. Juni 1915:

ROT fertiggestellt, BLAU in Projektierung
Heute noch findet man an den bezeichneten Stellen im Gelände mehr oder weniger gut erhaltene Schützengräben, Kavernen, Unterstände, Reste von Stacheldraht-Halterungen, Mauerreste usw.
Detaillierte Angaben zum heutigen Bestand hier.